Station 13

Das Leben in einem Koffer

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Die Vertreibung war ein Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Die Menschen standen vor der Frage: Was nehme ich mit? Was ist mir am wichtigsten? Erlaubt waren nur 30 bis 50 Kilogramm pro Person. Vor uns sehen wir die Truhe der Familie Leyerer. Ingrid Leser erinnert sich:

„Die Familie Leyerer habe ich selbst noch gekannt. Das waren die Nachbarn von meiner Mutter im Dorf Glitschau. Sie wurden gemeinsam mit meinen Großeltern nach Hessen ausgesiedelt.“

In Truhen, Körben, Koffern oder Fluchtsäcken transportierten die Menschen ihr Hab und Gut. Darauf notiert wurden die wichtigsten Informationen: Ihr Name, der Ort und Bezirk, aus dem sie kamen, die Gruppe und die Wagennummer des Zuges.

Einige Gegenstände waren für die Vertriebenen besonders wichtig: Dokumente über die Herkunft und Ausbildung sollten den Start in ein neues Leben ermöglichen. Praktische, unverzichtbare Dinge, wie Kleidung, Geschirr oder Werkzeug. Und persönliche Dinge, an denen man hing: zum Beispiel feine Stoffe, Souvenirs, Gebetbücher oder Spielzeug.

Ingrid Leser – Jahrgang 1949 – war bei der Flucht nicht dabei. Was ihre Großeltern und ihre Mutter erlebt hatten, konnte sie als Kind nicht begreifen.

„Auch auf unserem Dachboden hatten wir solche Truhen. Für uns Kinder waren sie natürlich hochinteressant. Was da so alles drin war… Da kamen zum Vorschein: alte Münzen, diese wunderbaren Stoffe, die alte Tracht … für uns war es wirklich ein Schatz.“

Erst als Erwachsene konnte Ingrid Leser nachvollziehen, welche Bedeutung diese Truhen für ihre Mutter und ihre Großeltern hatten.

„Diese Truhe ist mit meinen Großeltern überall mit hingegangen, bis sie dann schließlich in Bärnau angekommen sind. Dort landete sie auf dem Dachboden und da steht sie heute noch als Schatztruhe, auch wenn kein Schatz mehr drinnen ist. Die Truhe erinnert heute an die Wurzeln der Familie Wiederer, und dass sie vertrieben wurde.“